von Mariana Leky
Was für ein enorm unterhaltsamer Roman über das Erwachsenwerden, über die Provinz, die Liebe und über das Sterben geliebter Personen, welcher leicht verwunderlich merkwürdig ist und sehr komisch!
Luise, anfangs 10, steht im Mittelpunkt des „Märchens“. Sie wächst bei ihrer Großmutter Selma in einem Dorf im Westerwald auf und ihre Kindheit und Jugend ist sehr behütet. Immer, wenn Luise lügt, fallen Gegenstände runter.
„Sind noch alle da?“ fragte ich. Selma und der Optiker sahen sich an, und dann erfand Selma die Welt ein zweites Mal. „Nein“, sagte sie. „Es sind nicht mehr alle da. Aber die Welt gibt es noch. Die ganze Welt minus eins.“
Ihre Großmutter Selma ist eine kluge Frau. Immer wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt innerhalb der nächsten 24 Stunden jemand im Westerlanddorf. Das Ganze spricht sich sehr schnell im Dorf herum und alle verfallen in eine Art wilde Entfaltung unangemessen vieler Aktivitäten, bis der Tod seine Arbeit gemacht hat und wieder Ruhe einkehrt.
„Die Leute im Dorf beargwöhnten ihr Herz, das so viel Aufmerksamkeit nicht gewohnt war und deshalb verstörend schnell klopfte. Sie erinnerten sich, dass es bei einem aufziehenden Herzinfarkt in einem Arm kribbelt, sie erinnerten sich aber nicht, in welchem, deshalb kribbelte es den Leuten im Dorf in beiden Armen.“
Der Optiker, der ewig in Selma verliebt ist. Doch er weiß nicht, wie er es ihr erklären soll und schreibt deshalb hunderte von Briefen, die er immer wieder abbricht. Er versucht ständig seine beiden inneren Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Alle Personen im Dorf haben Macken und Neurosen und bleiben bis auf wenige namenlos. Eine Frau z. B. ist furchtbar abergläubisch, der Optiker weiß alles Mögliche. Einer läuft durchs Dorf und singt zum Verdruss der Menschen immer wieder „O du schöner Westerwald“. Alles sind Figuren, die man lange nicht vergisst, wie die ewig schlecht gelaunte Marlies in ihrem alten ausgeleierten Norwegerpulli, die nur selten das Haus verlässt.
Die Autorin erzählt mit Komik und dem deutlichen Wissen einer Sache bewusst zu sein über die Liebe und den Tod. Manchmal fragt man sich, ob die Dinge eigentlich zusammenpassen, aber sie tun es. Leky erzählt über das Warten auf Glück, wie man die ganze Welt über seinen Kopf stülpen kann, wie große Hunde nie sterben, wenn sie Alaska heißen, über ein Dorf im Westerwald und wie man im richtigen Moment das Richtige sagt, mit blutigen Schockmomenten und anrührenden Liebesszenen.
Es kommt einem in den Sinn die Leute einfach reden zu lassen was sie wollen, auch über Sinnlosigkeiten, die auch schön sein können und die auf den ersten Blick nicht unbedingt nötig erscheinen. Die Geschichte funktioniert und ergibt am Ende doch einen Sinn.
Was ist ein Okapi? „Martin erkannte einen jungen Braunbären, der sich sowohl mit seiner Farbe als auch mit dem Westerwald vertan hatte. Elsbeth sah ein Minishetlandpony, dem wegen der launischen Natur die Hufe fehlten, der Optiker vermutete ein bislang unentdecktes Landsäugetier, und die traurige Marlies, die einen Taschenspiegel herausgeholt hatte und ausführlich ihre Lidränder betrachtete, sah kurz auf und sagte: „Ich weiß nicht, was es ist, aber es sieht irgendwie schlimm nach Winter aus.“
Fazit: Ein wundervoll leises und starkes Märchen über Großherzigkeit und Kleinmut mit einer besonderen Atmosphäre, deren Geborgenheit ich noch einige Tage mit mir trage. Ich hatte vor Trauer und Rührung mit den Tränen zu kämpfen und ein neues Gespür für Personen und das Leben erhalten. Nichts währt ewig! Einfach zauberhaft! Und eins noch, am Anfang fand ich schwer in dieses Buch, doch nach dem ich den Film geschaut habe, ist es einfach so schön und wunderbar zu lesen und zu lächeln und zu weinen und vielleicht auch von einem Okapi zu träumen!
5⭐